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Ungesunde Lebensmittel: Zucker, Pflanzenfette, rotes Fleisch?

Okay: gibt es Lebensmittel die allgemeingültig und kontextunabhängig ungesund sind?

Es gibt viele Beiträge rund um Zucker, Pflanzenfette, rotes Fleisch, Süßstoffe und diverse andere Lebensmittel oder Lebensmittel Bestandteile, die behaupten, diese sein ganz grundsätzlich ungesund und sollten deshalb vermieden werden.


Zur Begründung wird in der Regel einer von zwei Wegen gewählt:

  1. Es werden einzelne Bestandteile dieser Lebensmittel ausgewählt

  2. Es werden Studien zu der Wirkung dieser Lebensmittel in der breiten Population zitiert


Bei näherem Hinschauen halten aber beide Wege einer eingehenden Prüfung nicht stand:


Einzelne Lebensmittel-Bestandteile

Bei Diät Produkten werden regelmäßig die verwendeten Süßstoffe kritisiert, weil diese krebseregend, Hunger-fördernd oder schlecht für die Insulinsensitivität sein. Gleiches gibt es zu pflanzlichen Stoffen in Obst und Gemüse oder einzelnen Fettsäuren oder Aminosäuren in tierischen Produkten.


Das Konstrukt ist meist gleichförmig: es wird ein Bestandteil aus dem Gesamtkontext herausgelöst. Dann wird dieser Stoff entweder in vitro - also in der Petrischale und nicht im Lebewesen - oder invivo also im Lebewesen - dann aber meist in Ratten - in vollkommen unrealistischen Mengen ausgebracht und die Zellen oder das Nagetier einer Menge ausgesetzt, die im realen Leben schon aus praktischen Gründen nie vorkommen würde.


Dann werden die Auswirkungen beobachtet. Meistens mit dem Ergebnis, dass es Zellen - oder Nagetieren - nicht gut tut, wenn man ihnen eine Menge Aspartam gibt, für die man in der Realität ca. 1.000 L Diet-Coke innerhalb weniger Stunden trinken müsste.


Kommuniziert wird aber nicht, dass es vermutlich eine schlechte Idee ist 10 Badewannen voll Diet-Coke zu trinken, eine Tonne Äpfel oder Rindfleisch zu essen, sondern dass Aspartam, Phytoalexine oder die essentielle Aminosäure L-Leucin krebserregend sind.


Dass die in Petrischalen und Nagetieren beobachteten Vorgänge nur in vollkommen realtitätsfernen Mengen und Konstellationen sowie nicht in tatsächlich lebenden Menschen vorkommen, wird meist nicht kommuniziert.

Einzelne Mechanismen

Ergänzend oder alternativ werden regelmäßig einzelne Mechanismen aus dem Kontext gerissen und isoliert kritisiert.


Beispielsweise wird rotem Fleisch bzw. tierischem Protein allgemein nachgesagt, sie seien krebserregend, weil die essentielle Aminosäure L-Leucin zur "Aktivation" des Enzyms mTOR führe. Das Enzym mTOR sei seinerseits verantwortlich für die Fortsetzung von Zellwachstum. Dieses Zellwachstum würde durch mTOR auch dann ausgelöst, wenn es sich um Krebszellen handele. Weil Leucin also mTOR aktiviere und mTOR auch das Wachstum von Krebszellen fördern könne, seien tierische Lebensmittel mit einem hohen Protein und insbesondere Leucin Anteil krebserregend.


So: ohne auf die beschriebenen Mechanismen in voller Tiefe einzugehen, stimmt diese Darstellung so nicht.

Aus dem Umstand, dass mTOR das Zellwachstum generell förderd und somit auch zur Multiplikation von Krebszellen, wird abgeleitet, dass es krebserregend sei.

Selbst wenn man einmal davon ausgeht, dass mTOR zum Wachstum von Krebszellen führen könnte, wäre es dann allenfalls "krebsfördernd" und nicht krebserregend, denn der behauptete Prozess setzt zu allererst voraus, dass bereits Krebszellen vorhanden sind.

Darüber hinaus ist das Gesamtbild der im Körper stattfindenden Prozesse und zugrundeliegenden Signale, die Zellwachstum und Zelltot steuern unfassbar komplexer und vielschichtiger als diese übersimplifizierte Reduktion von:


Leucin = mTOR

mTOR = Krebszellenwachstum

alsooooo

Leucin = Krebs


Es gibt diverse Hormone, Proteine bzw. Signalstoffe, die die Multiplikation von Zellen oder deren Abbau regeln und steuern. Diese Wrikungen müssen immer in der Gesamtschau betrachtet und bewertet werden. Signalstoffe wie mTOR sind essentiel, um dafür zu sorgen, dass "gesunde" Zellen reproduziert werden. Und T-Lymphozyten sog. T-Zellen sind für die Vernichtung von Krebszellen essentiell. Solange diese verschiedenen Prozesse und Mechanismen im korrekten Ausmaß zusammenwirken, bleiben wir gesund.


Löst man einen einzelnen Prozess aus dem Kontext, so kann jeder Vorgang im Körper als "ungesund" bezeichnet werden. Gerät das Zellwachstum außer Kontrolle, können bspw. Krebserkrankungen entstehen oder beschleunigt werden. Geraten Prozesse, die zur Vernichtung von Zellen führen außer Kontrolle, entstehen gleichfalls schwere und zum teil lebensbedrohliche Erkrankungen. Betrachtet man einzelne Prozesse und Mechanismen isoliert und zieht hieraus allgemeingültige und kontextunabhängige Schlüsse, fehlt deren Bezug zum Zusammenwirken der verschiedenen Körperfunktionen insgesamt.


Es finden auch weitere wichtige Unterscheidung nicht statt:

  • chronische "Über-"Aktivität von mTOR vs. durch Training oder Nahrungsaufnahme akute kurzfristige Aktivation mit anschließender Rückkehr zu einer gesunden Base-Line

  • Betroffenes Gewebe: Proteinzufuhr im Zusammenhang mit Krafttraining führt zu erhöhter Aktivität in der Skelettmuskulatur nicht in Leber und Gehirn


Im Ergebnis ist die isolierte Betrachtung von Bestandteilen in Lebensmitteln sowie von Botenstoffen, Hormonen und Prozessen im Körper in bestimmten Fällen sinnvoll. Es darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass ein spezifischer Blick auf "Einzelteile" und deren Analyse nicht ohne Weiteres auf den gesamten Organismuss mit all seinen Funktionen und Prozessen übertragen werden kann.


Andernfalls könnten wir nichts mehr essen, nichts mehr trinken, nicht atmen und uns nicht physisch anstrengen:


  • jedes Nahrungsmittel enthält Stoffe, die isoliert betrachtet, ohne Berücksichtigung der Mengen und anderen Prozesse als "ungesund" gelten könnten. Selbst Wasser ist bei übermäßigem Konsum tödlich, weil zu viele Mineralstoffe ausgeschwemmt werden. Die Lösung ist einfach -


    Es ist Dosis- und Kontext-abhängig!


  • Während der Aufnahme und Umsetzung von Sauerstoff sterben Zellen und insbesondere auch Gehirnzellen ab - würden wir dies isoliert betrachten, müssten wir dann aufhören zu atmen?


  • Training und physische Antrengung im Trainingskontext führen zu erhöhtem Blutdruck, einem höheren Puls und der Ausschüttung von Entzündungsstoffen. Sollten wir also aufhören zu trainieren?


    Nein! Denn unser Blutdruck, Puls und unsere Entzündungswerte sind nur akut erhöht. Sie sind als Singnale essentiell, um die gewünschten Adaptionen auszulösen - Muskelwachstum, Verbesserung der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit, Herzratenvariabilität und -Regulation. Wenn die gesundheitsfördenden Prozesse abgeschlossen bzw. die notwendigen Signale kommuniziert sind, sinken Blutdruck, Puls und Entzündungswerte wieder und sind dauerhaft niedriger und verbessert.


Die Realität ist die Lösung

Was ist also die Lösung? Sind daher alle Nahrungsmittel, Ernährungsroutinen und Trainingsmodelle gleich gut oder schlecht? Wie können wir herausfinden, was gesund oder ungesund ist?


Ob etwas für eine individuelle Person gesund oder ungesund sein wird, lässt sich in Bezug auf Ernährung außerhalb von Extremen - literweise Cola, ausschließlich Eiscreme - nie abschließend beurteilen. Um aber übergreifend abschätzen zu können, ob eine Ernährungsweise, ein Lebensmittel oder ein Trainingsmodell gewünschte oder ungewünschte Resultate erziehlt, sind letztere genau das worauf geschaut werden kann: Resultate in der Realität!


Wenn sich aus einer hinreichend großen Menge an belastbaren Daten ergibt, dass die Einnahme von einem bestimmten Lebensmittel kausal für ungesunde oder ungewünschte Resultate ist, dann kann man getrost auf dieses Lebensmittel verzichten.


Leider lässt auch die Kommunikation von Studien und Meta-Analysen häufig die erforderliche Differnziertheit vermissen:


Wohl kaum eine Studie wird so oft "missbraucht" wie jene epidimiologsichen Studienzu Zucker und Rotem Fleisch:

  • Zucker ist ungesund, weil Zucker Menschen fett macht! Personen, die mehr Zucker essen, sind im Durchschnitt häufiger fettleibig als solche, die weniger Zucker essen. Also macht zucker fett!

  • Rotes Fleisch verursacht Krebs, weil Personen die mehr rotes Fleisch essen häufiger an Krebs erkranken als solche die weniger oder kein rotes Fleisch essen. Also verursacht rotes Fleisch Krebs!


Dabei ist aber auch so, dass

  • die Personen, die mehr Zucker konsumieren mit gleichermaßen höherer Wahrscheinlichkeit

    • nicht trainieren,

    • sich generell wenig bewegen

    • und insgesamt mehr Kalorien zu sich nehmen als Personen die weniger Zucker essen;

  • die Personen, die mehr rotes Fleisch konsumieren wahrscheinlicher

    • Rauchen,

    • Alkohol konsumieren,

    • übergewichtig sind,

    • nicht trainieren,

    • und/oder an einer Drogensucht leiden.


Es ist also deutlich wahrscheinlicher, dass es diese anderen Faktoren sind, die zu mehr Fettleibigkeit bzw. Krebserkrankungen führen. Diese Korrelation von nachweislich ungesunden Verhaltensweisen und Zuständen (Rauchen, Drogensucht, Fettleibigkeit, übermäßige Kalorienzufuhr) sind wahrscheinlich die eigentlich kausalen Faktoren. Zucker und rotes Fleisch korrelieren insoweit nur "zufällig" mit den Resultat - sog. "unhealthy user bias". Außer natürlich man wolle behaupten, dass Zucker auch dafür verantwortlich ist, dass Personen nicht trainieren etc. oder rotes Fleisch zum Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum verleitet.


Dieses Problem lässt sich eigentlich leicht auflösen. Zumindest dann, wenn genug Daten vorhanden sind, um die Studie um die vorgenannten Störfaktoren (Rauchen etc.) bereinigt werden können.


Anstatt also den mindestens 8 Stunden schlafenden, täglich meditierenden, veganen Yoga-Lehrer mit dem chronisch gestressten, rauchenden, übergewichtigenden und etwas zu häufig zu viel trinkenden Truck-Fahrer zu vergleichen (sorry für die Stereotypen) - vergleichen wir Äpfel mit Äpfeln:


Werden die Daten von Personen verglichen, die die gleiche Menge Kalorien im Verhältnis zu ihrem Energieverbrauch essen, gibt es plötzlich keinen Zusammenhang mehr zwischen Zucker und Fettleibigkeit. Zucker macht also nur fett, wenn zu viele Kalorien konsumiert werden. Im gleichen Maße machen aber auch Fett und Proteine uns fett. Denn wenn mehr Kalorien konsumiert werden, führt jeder Makro-Nährstoff letztlich kumulativ kausal zur Zunahme von Körperfett. Auch ist belastbar dokumentiert, dass low-carb oder low-sugar keine Vorteile gegenüber high-carb oder high-sugar Diäten bieten. Weder bei der Abnahme von Körperfett, noch dabei im Anschluss das neue Körpergewicht und den neuen Körperfettanteil zu halten.


Gleichfalls haben Personen, die auch rotes Fleisch essen, nicht aber rauchen, trinken, drogenabhängig sind und im Übrigen ebensoviel trainieren, schlafen und genauswenig übergewichtig sind, wie ihre Vergleichgruppe - die kein rotes Fleisch isst - kein erhöhtes Krebsrisiko.


Zusammengefasst lässt sich festhalten:

  • Einzelne Lebensmittel oder deren Bestandteile müssen immer zumindest im Kontext von Menge betrachtet,

  • Bei einzelnen Prozessen im Körper sollte nie das Zusammenspiel der Körperfunktionen insgesamt übersehen werden,

  • letztendlich sollten sich angeblich bestehende Zusammenhänge von Lebensmitteln und Mechanismen immer auch in der Realität zeigen und durchsetzen, wenn wir jene Gruppen vergleichen, die tatsächlich auch im Übrigen vergleichbar sind und leben!


Hoffentlich hilfts!



 
 
 

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